Daniela
Wider die Ökonomisierung der Sprache
„Wer eine neue Sprache lernt, erwirbt zu einem gewissen Grad auch eine neue Denkweise und einen neuen Blick auf die Welt. … Das erlaubt uns zu sehen, dass die Dinge ganz anders sein können, als wir immer glaubten.“ *

Sprache bestimmt unser Denken und Handeln, unsere Wahrnehmung und Erinnerung und somit zu einem gewissen Teil auch unsere Identität.
Multilinguale Sprachkompetenzen eröffnen SprecherInnen neue Perspektiven auf die Welt. Doch Mehrsprachigkeit wird in einer von Kapital dominierten Marktlogik nur mehr als ökonomisch verwertbare Ressource angesehen, die es Unternehmen ermöglicht, ihre Macht in der globalisierten Welt zu festigen: Was zählt sind die erwarteten ökonomischen Profite, die mit dem Erlernen und der Verwendung einer (Fremd-)Sprache einhergehen. Dass dabei standardisierte Formen des Bilingualismus als wertvoller angesehen werden als nicht-standardisierte „authentische“ bilinguale Sprachkompetenzen, basiert auf monolingualen Sprachideologien und dominanten Sprachhierarchien. Wollen wir uns dem Diktat des Kapitals nicht länger unterwerfen, dann müssen wir beginnen, bestehende Sprachhierarchien und -regime zu hinterfragen. Wir müssen beginnen miteinander und voneinander zu lernen.
Welche Sprache zählt als legitime Sprache? Und wer hat überhaupt das Recht zu entscheiden, was als kompetent, authentisch oder als legitim angesehen wird?
Sprachhierarchien und Sprachregime basieren auf einem politischen und ökonomischen Kalkül, der Verteilung von Macht.Dabei unterliegen die Anerkennung und der Wert einer Sprache einer ständigen politischen und ideologischen Auseinandersetzung und Aushandlung: Die Machtinteressen von dominanten Sprachgruppen spiegeln sich in monolingualen Sprachideologien wieder, die legitimieren, wer das Recht hat Sprache zu reproduzieren und wer entscheiden kann, wie viel eine Sprache und deren SprachverwenderInnen im sozialen Raum wert sind. Mit der Hierarchisierung von Sprachen geht nämlich gleichzeitig auch die Hierarchisierung der SprecherInnen einher. Während SprecherInnen der Standardsprache eine privilegierte Stellung in der Gesellschaft und Wirtschaft gewährt wird, wird das Sprachkapital von Personen mit bi- oder multilingualen Sprachkompetenzen im Namen der Standardsprache nicht nur negiert, sondern auch als defizitär angesehen.
Mit der zunehmenden Komplexität des globalen Handels gewinnen multilinguale Sprachkompetenzen immer mehr an Bedeutung.
Minderheitensprachen und deren (bi- oder multilinguale) SprecherInnen werden vor diesem Hintergrund als strategisch wichtige Faktoren angesehen, die als linguistische Ressourcen (aus)genutzt werden können: Mehrsprachigkeit ermöglicht Zugang zu internationalen Märkten, zu globalen Netzwerken, globalen Institutionen – und damit zu mehr Macht.
Unternehmen sehen in MitarbeiterInnen mit bi- oder sogar multilingualen Sprachkompetenzen einen Mehrwert, der die Kosteneffizienz und ökonomische Profitabilität steigern kann und der es erlaubt, in einer zunehmend globalisierten Welt zu konkurrieren. Die linguistische Diversität wird dadurch dem Diktat des Marktes und der ökonomischen Produktion unterworfen. Multilinguale Sprachkompetenzen und Fremdsprachen werden als eine ökonomisch verwertbare Ressource angesehen, als symbolisches Kapital, das auf globalen Märkten gegen materielles Kapital eingetauscht werden kann. Sprache und deren VerwenderInnen wird dabei ein „Marktwert“ beigemessen. Als wertvoll anerkannt werden nun die ökonomisch verwertbaren Sprachen: Je größer die kommunikative Reichweite einer Sprache ist, desto wertvoller ist sie. Der Wert einer Person wird dabei auf Basis dieses Marktwerts gemessen und SprecherInnen dementsprechend hierarchisiert. Das Sprachkapital einer Person steigt, wenn die Nachfrage auf dem Markt nach einer ganz bestimmten Sprache steigt.
Es werden nicht die Menschen an sich geschätzt, sondern ihr „ökonomisches Sprachkapital“. Sprache wird losgelöst von der sprechenden Person gesehen, als messbare, technische Kompetenz, deren effiziente Nutzung es zu optimieren gilt.
Die globalisierte Ökonomie hat die Rollen und den Wert von Monolingualismus und Multilingualismus also umgekehrt.
Die neue Marktlogik gesteht früher stigmatisierten und marginalisierten Sprachen und SprecherInnen einen legitimen Wert zu. Doch die soziale Ungleichheit und Hierarchisierungen, die zugrunde liegenden monolingualen Sprachideologien, sind auch in diesem Umfeld noch erkennbar. Auch wenn das Potential von SprecherInnen mit multilingualen Sprachkompetenzen nun nicht mehr negiert wird, so ist es doch der in Bildungseinrichtungen gelehrte standardisierte (akademische oder uniforme) Bilingualismus, der in der globalisierten Welt mehr zählt als bilinguale Sprachkompetenzen von Mitgliedern aus Minderheitengruppen (die sog. umgangssprachliche oder hybride Mehrsprachigkeit). SprecherInnen mit einem hybriden Bilingualismus werden auf dem Arbeitsmarkt noch immer von Positionen ausgeschlossen, die mit viel Kundenkontakt einhergehen, weil ihre akademischen KollegInnen bevorzugt werden. Der uniforme Bilingualismus scheint in einer globalisierten Welt mehr Wert zu sein, weil er dem unternehmerischen professionellen Image der global agierenden Unternehmen entspricht. Um auf dem globalen Markt bestehen zu können wird die Authentizität und Identität der „echten“ bilingualen SprecherInnen standardisiert – und somit kommodifiziert.
Die neu kreierten Sprachhierarchien dienen etablierten Gruppen dazu, ihre Macht gegenüber (befürchteten) aufkeimenden Destabilisierungen zu konsolidieren.
Sprache definiert unsere Rolle in der Gesellschaft.
In einer von Kapital dominierten Marktlogik entscheidet die zunehmende Bedeutung des ökonomischen und symbolischen Werts einer Sprache über die Positionierung in einer Institution oder Gesellschaft. Sprachen, deren Marktwert als wenig wertvoll angesehen wird, werden in dieser Marktlogik ignoriert. Dies manifestiert sich vor allem im Lehren und Erlernen von neuen Sprachen, wo das Spannungsverhältnis zwischen Sprache als technische Kompetenz und Sprache als identitätskonstitutives Merkmal besonders evident ist.
Sprache und Identität konstituieren sich wechselseitig: Identität ist kein statisches Persönlichkeitsmerkmal, kein persönlichkeitsdefiniertes Objekt, sondern ein stetiger dynamischer Prozess, der durch die Interaktion mit anderen entsteht. Der Erwerb neuer Sprachen eröffnet einen neuen Zugang zu Themen – und zu neuen Identitäten: Wir tragen multiple Identitäten in uns, die durch unterschiedliche Sprachen ihren Ausdruck erhalten. Die Marktlogik negiert diese wechselseitige Beziehung zwischen Sprache und Identität, indem sie Sprache nur mehr als Möglichkeit ansieht, den persönlichen oder unternehmerischen Verkaufswert zu steigern. Um die eigene Positionierung als wertvolle, legitime Sprecherin zu festigen, werden mithin nur mehr solche Sprachen erlernt, die als nützlich und verwertbar angesehen werden. Die selbst gewählte Positionierung, Identität und Rolle, die SprecherInnen in einer Gesellschaft einnehmen, steht in einem Spannungsverhältnis zur Positionierung, die andere uns zuweisen. In diesem Spannungsverhältnis erlauben uns der Erwerb und das Sprechen von anderen Sprachen als der als legitim akzeptierten Standardsprache, unsere Rollen in der Gesellschaft neu zu verhandeln. Und auch transnationale Gemeinschaften, die in Zeiten der globalen Kommunikation entstehen, haben die Möglichkeit, sich bestehenden Fremdzuschreibungen zu widersetzen, indem sie sich ihr ganz eigenes hybrides Sprachrepertoire zu schaffen; einen ganz eigenen Raum, in dem neue Identitäten und Positionierungen ausgehandelt werden können.
Das Diktat der Ökonomisierung erlaubt diese Neuverhandlung von Identitäten nicht.
Wollen wir uns diesem Diktat nicht länger unterwerfen, dann müssen wir beginnen, bestehende Sprachhierarchien und -regime zu hinterfragen.
Wer eine neue Sprache lernt, erwirbt eine neue Denkweise und einen neuen Blick auf die Welt. Wollen wir die vielen Herausforderungen der Gesellschaft angehen, müssen wir beginnen miteinander und voneinander zu lernen. Seien wir also offen für das Erlernen fremder Sprachen, und für das Lernen über andere Sprachen. Differenz und Verschiedenheit werfen Fragen auf und Fragen regen dazu an, die Welt neu zu denken.
*Lera Boroditsky, Psychologin, Stanford University.
Essay für das Institut für Bildungswissenschaften an der Universität Wien.