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  • AutorenbildDaniela

Wider die Psychologisierung des Faschismus

Warum Faschismus kein Persönlichkeitsmerkmal ist und nicht auf den Westen reduziert werden kann.


The White West III: Automating Apartheid“ (dt. Der weiße Westen III: Automatisieren von Apartheid) wurde im Februar 2020 von der Kunsthalle Wien im Kasino am Schwarzenbergplatz im Hinblick auf die Ausstellung „... von Brot, Wein, Autos, Sicherheit und Frieden“ organisiert. Letztere spielt auf den libanesischen Autor und Künstler Bilal Khbeiza an, der in seinem Buch über die Unterschiede zwischen den Träumen der Menschen im Globalen Süden und jenen im Globalen Norden sinniert. Ana Teixeira Pinto, Autorin und Kulturtheoretikerin aus Berlin, und der Künstler Kader Attia konzipierten die Konferenz. Attia will mit La Colonie in Paris Platz für transkulturelle, transdisziplinäre und transgenerationale Diskussionen schaffen, um „die Dekolonialisierung von Menschen, Wissen, Haltungen und Praktiken“ voranzutreiben.


Auch die in Kannada lehrende Politikwissenscha erin Radhika Desai will mit der von ihr entwickelten „geopolitischen Ökonomie” Verbindungen zwischen Imperialismus, Faschismus und Kapitalismus jenseits einer Psychologisierung des Faschismus verstehen. Kapitalismus, so Desai, sei der Nährboden für Imperialismus und Faschismus. Sobald sich in einem Teil der Gesellschaft der Kapitalismus ausbreite, leide ein anderer Teil darunter. Der Imperialismus hätte die Konsequenzen dieser ungleichen Entwicklung des kapitalistischen Systems im Grunde genommen nur nach außen weitergetragen. Der in Staaten wie Indien oder Südafrika aufkeimende sogenannte „neue Kapitalismus“, würde wiederum den Nährboden für einen „Unter-Imperialismus“ bieten. Damit meint sie eine Form des Imperialismus, in dem die unterdrückten Staaten der Peripherie wiederum ihre eigene Peripherie unterdrückten – und sogar den alten imperialen Staaten Konkurrenz machen könnten.

Faschismus ist kein Phänomen des Westens


Sie selbst habe die 2014 in Indien mehrheitlich gewählte, rechtskonservative, nationalistische Partei Bharatiya Janata Party (BJP) öffentlich als „von Mussolini inspiriert“ bezeichnet. Dafür sei sie lautstark kritisiert worden. Doch es sei nicht sinnvoll, Faschismus allein auf Europa und den Holocaust zu reduzieren. Der Rassismus wiederum sei eine auf Faschismus und Imperialismus beruhende ideologische Antwort, die jegliche Formen der Unterdrückung legitimiere. Heute ist Rassismus wieder am aufsteigenden Ast. Die Zielscheibe sind meist Migrant*innen. Ursächlich sieht Desai auch hier das kapitalistische System und seinem Bedarf an Arbeitskräften. So wie die Sklaverei auf diesem „Arbeitskräfte-hungrigen“ Kapitalismus aufgebaut war, würden heute Migrant*innen als billige Arbeitskräfte eingesetzt; die Attacken auf Migrant*innen spiegeln das faschistische Element in diesem System wieder. Aber auch diese Angriffe wollte Desai nicht auf Europa reduziert lassen. In Indien, so die Referentin, sei es eine „schwere Sache“ Muslim*in zu sein. Man würde von allen Seiten her angegriffen; Hindus würden von der weltweiten Islamophobie profitieren. Der in Ruanda geborene Regisseur, Schauspieler und Autor Dorcy Rugamba versucht im Rahmen seiner Arbeit zu verstehen, wie extreme Gewalt entstehen kann und welche historischen Kontinuitäten erkennbar sind. Die systematische Vernichtung von Völkern habe bereits mit Christoph Columbus begonnen. Als Ausgangspunkt einer Reihe von Völkermorden sieht Rugamba den von Deutschland ausgehenden Genozid am Volk der Herero im heutigen Namibia im Jahr 1904. Den „Vernichtungsbefehl“ gegen die sich erhebenden Herero sei in einem historischen Kontinuum mit der „Ausrottungsstrategie“ der Nationalsozialisten und dem Völkermord in Ruanda 1994 zu betrachten. Der Imperialismus sei für letzteren gar konstitutiv. Denn: Als Deutschland sich Ende des 19. Jahrhunderts Ruanda als Kolonie aneignete, wurde das einstige Herrenvolk der Tutsi gegenüber den Hutu bevorzugt. Zwischen die beiden Gruppen wurde ein imperialer Keil getrieben – ein Keil, der 800.000 Menschen das Leben kostete.

Der Autor würde oftmals nach seinen „Wurzeln“ gefragt. Doch, so Rugamba, „Ich bin kein Baum“. Er habe die kolonialen Mächte nicht selbst erlebt. Trotzdem sei extreme Gewalt, als eine Art Ausläufer des kolonialen Systems, alltäglich gewesen.


Veranstaltungsrezension für das Paulo Freire Zentrum. Foto: Kunsthalle Wien.

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